Dreschflegel Bio-Saatgut
Pflanzenportrait: Kartoffelnachbau aus Sämlingen (Autorin: Stefi Clar)
Kartoffelpflanzen
Im Frühsommer durch den Unstrut Hainich-Kreis wandern, mit dem Bummelzug durch nordhessische Dörfer zuckeln und sich über die frischen Kartoffeldämme mit spitzendem Grün in den vielen Hausgärten erfreuen - dörfliche Kultur im Frühjahr.
Erinnerungen an meine Lehrzeit als Landwirtin: Meine Chefin erzählte mir damals, wie in ihrer MeisterInnenausbildung zur ländlichen Hauswirtschaft der Hausgarten als veraltet und unwirtschaftlich entwertet wurde - dies hielt sie nicht davon ab, einen wunderschönen Garten zu haben.
Trotz der Möglichkeit und auch der "Werbung", besser zu kaufen als selbst etwas anzubauen, wollen offensichtlich nach wie vor viele Leute gerade auf eigene Kartoffeln nicht verzichten.
Geschichtliches und Biologisches
Kartoffeln haben eine relativ junge Geschichte in Europa. Mitte des 16. Jahrhunderts sind sie von den unterworfenen Gebieten Mittel- und Südamerikas nach Europa gekommen und fristeten zunächst ein Dasein als Medizinal- und vor allem als Zierpflanzen, bis sie im 18. Jahrhundert zu einem der wichtigsten Grundnahrungsmittel wurden.
Schon seit ihrer Einführung nach Europa wird das Nachtschattengewächs über Knollen vermehrt und über Samen gezüchtet. Dadurch sind Kartoffelsorten über den Saatgutweg nicht stabil, d.h. die Sämlingsgeschwister einer Sorte können sich in verschiedenen Eigenschaften unterscheiden. Wer experimentierfreudig ist, kann dies auch im Hausgarten beobachten.
Kartoffelzüchter Europlant
Die beliebte Speisekartoffel Linda sollte nach dem Ablaufen ihres Sortenschutzes am 31.12.2004 nicht mehr zur Verfügung stehen - so der Wille des Kartoffelzüchters Europlant. Dessen neuere, noch geschützte Sorten sollten so am Markt etabliert werden. Daran entzündete sich neben gerichtlichen Auseinandersetzungen eine breite, öffentliche Debatte, von den Medien dankbar aufgegriffen.
Selten konnten die schwierigen Themen von Sortenschutz und -zulassung einer breiten Öffentlichkeit so plastisch nähergebracht werden, wie durch die Rettungsaktionen der Linda-FreundInnen. Dass aber tatsächlich so viele Sympathien aufseiten der Linda und ihrer RetterInnen sind, macht deutlich, dass die Einschränkung von Sortenwahl und -verfügbarkeit mehr Menschen empört, als Europlant sich dies hätte träumen lassen.
Über Linda hinaus - An- und Nachbau von Kartoffeln
Unabhängig von den Marktstrategien der Züchtungskonzerne lässt sich der Nachbau von Kartoffelsorten im eigenen Garten gestalten. Kartoffeln sollten gut gehackt und gehäufelt werden. Im Spätsommer kann das Laub, sobald es abstirbt, gezogen werden, während die Knollen bis zur Ernte noch im Boden nachreifen können. Als Setzkartoffeln werden gesunde Knollen von kräftigen Pflanzen gewählt, die abgetrocknet und kühl eingekellert werden sollten. Das Vorkeimen im Frühjahr begünstigt eine schnelle Jugendentwicklung.
Kartoffeln
Vielfalt und Ertragsvergleich
Wer Sorten allerdings schon mehrere Jahre über Knollen vermehrt hat, musste vielleicht bei einigen davon feststellen, dass sie immer ertragsschwächer geworden sind. Ursachen dafür können z.B. ein ungünstiger Standort oder eine Ansammlung von Viren sein, die dazu führen kann, dass ein Bestand zusammenbricht.
Ohne das Problem dieser sogenannten Abbaukrankheit verharmlosen zu wollen, ist es dennoch wichtig, sich davon nicht unnötig einschüchtern zu lassen. Viren werden über Blattläuse übertragen, d.h. in Regionen mit geringem Blattlausdruck lassen sich Kartoffeln sehr viel besser virusfrei oder -arm halten. Sehr weit zurückbleibende Pflanzen innerhalb einer Sorte können frühzeitig erkannt und herausgerissen werden. Es gibt immer wieder Sorten, die hervoragend mit einer Vielzahl von Viren zurechtkommen, die zwar an den Blättern die entsprechenden Symptome zeigen, aber dennoch über Jahre einen stabilen Knollenertrag haben.
Kartoffelneuzüchtung über Sämlinge
Kartoffelviren werden, wenn überhaupt, nur sehr selten über Samen übertragen. Dies bedeutet, dass die Sämlingsanzucht eine hervorragende und spannende Möglichkeit ist, die eigenen Kartoffeln zu verjüngen - mit dem Effekt freilich, neue Sorten zu bekommen. Aus diesen kann dann ausgesucht werden, welche in Zukunft über Knollen weiter vermehrt werden. Hier beginnt dann natürlich auch wieder die nächste Runde der Virenansammlung.
Kartoffel-Pflänzchen
Aus den weichen, reifen Kartoffelbeeren werden die Samen gewonnen. Die Sämlinge werden vorgezogen und nach den letzten Frösten gepflanzt. Danach gilt wie für gesetzte Kartoffeln: viel häufeln und hacken!
Wir arbeiten seit vielen Jahren mit Sämlingen einiger Sorten. Dabei haben wir verschiedene Beobachtungen gemacht. Die Sämlingsgeschwister farbiger Kartoffeln sind am augenscheinlichsten verschieden, da sie sich in der Knollenfarbe unterscheiden. So sind unsere Nachkommen einer blauen Hörner-Kartoffel teils gelb-pink gescheckt, teils rot, teils verwaschen lila oder blau. Beim Setzen, Ernten, Kochen und Essen: Augenschmaus und Farbtherapie. Die Knollen sind auch gut in Form: Neben Hörnern gibt es rund-ovale oder dicke längliche Knollen.
Kartoffel-Vielfalt
Neben Farbe und Form sind auch andere Merkmale unterschiedlich ausgeprägt: Konsistenz, Kochzeit und Geschmack können sich zwischen den Geschwisterknollen unterscheiden; ebenso die Kartoffelstauden in ihrem Wuchstyp, ihrer Blattform, ihren Blüten und ihrer Blühfreudigkeit.
Sehr beeindruckend sind die Unterschiede in der Reifezeit und der Toleranz gegen Kraut- und Knollenfäule (Phytophthora infestans). Beim Laub können wir gut die Unterschiede bei Geschwistern zwischen Totalzusammenbruch schon im August und noch überwiegend oder teilweise grünen Pflanzen bei der Ernte im September (in guten Jahren sogar im Oktober) feststellen. Mit einer großen Sortenvielfalt und der Auslese aus den Sämlingsgeschwistern können wir so die für unseren Standort besten Kartoffeln auswählen.
Wie wohl deutlich geworden ist: Auch wir wollen nicht auf die eigenen Kartoffeln verzichten. Und so ist es inzwischen September, die Kartoffelernte steht bevor. Oder besser gesagt die bunte Knollenernte - denn die Saatguternte liegt schon hinter uns.